Traumatisierung und Verlauf von psychischer Traumatisierung

Unter einer Traumatisierung nach van der Kolk[97] versteht man die Reaktion des betroffenen Menschen auf einen traumatischen Vorfall oder kumulative entwicklungsbezogene Mikrotraumen bzw. schwerere traumatische Erfahrungen im Kindesalter (physische, psychische, soziale). Nicht jeder Mensch reagiert gleich auf dasselbe Ereignis; er beschreibt folgenden Vorgang: Menschen, die enormen Stresssituationen ausgesetzt sind, haben drei Möglichkeiten, sich mit ihrer Lage auseinanderzusetzen: Flucht, Kampf oder Erstarrung. Hat der Mensch das Gefühl, weder fliehen, noch kämpfen zu können, tritt ein so genanntes „Einfrieren“ von Gefühlen ein. Das Einfrieren von Gefühlen wiederum bewirkt eine Schockreaktion, die bei mangelnder Unterstützung innerhalb des unmittelbaren Umfelds und fehlender Integration in die Lebensbiografie zu einer Traumareaktion in Form von pathologischer Traumabewältigung führen kann. Erstarrung lässt sich mit der Todstellreaktion, einem Reflex bei Tieren, die verfolgt werden, assoziieren. Dieser ist auch vergleichbar mit dem Effekt der Dissoziation, d. h. Abspaltung, Aufhebung einer Verbindung, Fragmentierung, Trennung. Respektive, wird die Traumatisierung nicht als solche aufgegriffen, gerät sie entweder in Vergessenheit, wird verdrängt oder abgespalten. Die Abspaltung erfolgt in Form einer Dissoziierung[98], d. h. einem Zustand, bei dem Erlebnisse oder Situationen ’wie von außen’ wahrgenommen werden. Die Dissoziation gilt als eine Abwehr- bzw. Überlebensstrategie betroffener Menschen, um unerträgliche Gefühle von sich ’fern’ zu halten. Im Nachhinein können Erlebnisinhalte zum Teil komplett verloren gegangen sein. Man bezeichnet einen solchen Zustand als kognitive Amnesie. Traumatische Erfahrungen werden nach neuesten Erkenntnissen in einem so genannten Traumagedächtnis (präfrontaler Cortex) aufbewahrt. Triggerreize können dazu führen, dass traumatische Erinnerungen erneut abgerufen werden, wobei diese im Alltagserleben des betroffenen Menschen in oft unpassenden bzw. unerklärlichen Zusammenhängen auftauchen. Man bezeichnet derartige einschießenden Erinnerungen als ’Flashbacks’.

Mögliche pathologische Entwicklungen hängen von folgenden Faktoren ab:[99]

Frühkindliche Traumatisierungen haben besonders tief greifende Auswirkungen auf die Identitätsentwicklung betreffender Kinder, da diese ihr Selbst- und Weltbild entscheidend zu beeinflussen vermögen. Viele Menschen, die als Kind frühkindlichen Belastungen – insbesondere, die traumatisierenden Handlungen primärer oder sekundärer Bezugspersonen ausgesetzt waren – haben mit nachhaltigen Folgen im bio-psycho-sozialen Bereich zu kämpfen. Zu den traumatischen Belastungen im Kindesalter gehört der emotionale, sexuelle, körperliche Missbrauch und seelische Vernachlässigung.[100]

Traumatische Ereignisse innerhalb des Familienverbundes bergen das höchste Risiko; die schwächsten Mitglieder tragen überproportional häufig seelische Verletzungen davon. Der Nachweis hierfür lässt sich in psychischen Störungen erwachsener Menschen mit derartigen Erfahrungen erbringen.[101]

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